Wechselstromnetze haben in Europa eine Frequenz von 50 Hertz. Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) müssen diese Frequenz jederzeit mit einem Toleranzbereich von nur wenigen Zehntelhertz halten. Dies ist dank der sekundenschnellen Primärregelleistung möglich, welche innerhalb von 30 Sekunden, meist jedoch deutlich schneller, auf Netzschwankungen reagiert. Die Primärreserve, auch PRL, ist die erste zu aktivierende Regelenergieart und wird zunehmend auch von erneuerbaren, regelbaren Energieträgern wie Biogas erbracht.
Primärregelleistung soll kurzfristige Laständerungen und damit einhergehende Frequenzschwankungen abfedern. Daher muss die gesamte Angebotsleistung, also der vertraglich zur PRL-Nutzung vereinbarte Teil der installierten Leistung einer Anlage, innerhalb von 30 Sekunden vollständig anliegen und für mindestens 15 Minuten erbracht werden. Die Aktivierung von Primärregelleistung findet aufgrund der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit daher auch nicht durch den Abruf aus einer Leitwarte, sondern durch den Befehl eines Frequenzmessers direkt an der Anlage statt.
Dieser Frequenzmesser überwacht laufend die Netzfrequenz und regelt, sobald die Netzfrequenz aus einem bestimmten Toleranzbereich einen vordefinierten Wert über- oder unterschreitet, die Leistung der Anlage automatisch nach, um die Schwankung auszugleichen. Der Toleranzbereich wird auch als sogenanntes Totband bezeichnet; typischerweise liegt dieses in einem Bereich von 0,02 Hertz zwischen 49,99 Hertz und 50,01 Hertz. Der gesamte Regelbereich befindet sich zwischen einer Frequenz von 49,8 Hertz bis 50,2 Hertz. Liegt die Abweichung außerhalb des Totbands, ist der PRL-Anbieter verpflichtet, durch die Anpassung seiner Anlagenleistung in Sekundenschnelle gegenzuregeln.
Die Feststellung des Bedarfs an PRL erfolgt nicht national wie bei der Sekundärreserve (SRL) und Tertiärreserve (TRL), sondern im Verbund der zentraleuropäischen Übertragungsnetzbetreiber ENTSOE-E ("European Network of Transmission System Operators for Electricity"). Dieser Verbund, auch als Synchrongebiet bezeichnet, teilt die Vorhaltung von Primärregelleistung solidarisch unter seinen Mitgliedern auf.
Grundlage der Bedarfsschätzungen ist die Annahme eines zeitgleichen Ausfalls zwei der größten Kraftwerksblöcke innerhalb des Netzgebietes. Dies entspricht einer Vorhaltemenge von plus/minus 3.000 MW. Welchen Anteil jeder Netzbetreiber zu dieser Menge beitragen muss wird jährlich neu berechnet und richtet sich nach der Stromeinspeisung des Vorjahres.
Wöchentlich findet auf der Internetplattform www.regelleistung.net eine Auktion für die Primärreserve statt, in der Regel am Dienstag. Zur Teilnahme an dieser Auktion muss ein PRL-Bieter einen Rahmenvertrag mit seinem Übertragungsnetzbetreiber abschließen. Hierzu ist der Nachweis über eine Präqualifikation der jeweiligen Anlagen nötig – schließlich muss die vertraglich vereinbarte Leistung auch zuverlässig und schnell erbracht werden können.
Jedes Angebot besteht aus einem symmetrischen Angebotsband, positive und negative Leistung muss zugleich angeboten werden. Nach Ablauf der Angebotsfrist werden die Gebote in einer Merit Order preislich gestaffelt von niedrig nach hoch aufgereiht. Die Übertragungsnetzbetreiber beginnen dann beim niedrigsten Preis mit der Bezuschlagung der Gebote, bis die benötigte PRL-Menge gedeckt ist. Sobald ein Anbieter den Zuschlag erhält, verpflichtet er sich, die vereinbarte Menge an PRL vorzuhalten.
Die Vergütung in der PRL erfolgt ausschließlich über den Leistungspreis. Auf den Arbeitspreis kann verzichtet werden, da sich das Verhältnis zwischen positiv und negativ erbrachter Leistung im Mittel ausgleicht. Zusätzlich würden durch den kontinuierlichen Frequenzausgleich erhebliche Transaktionskosten für die unzähligen Abrufe anfallen.
Von allen Regelenergiearten hat die Primärreserve nach wie vor den geringsten Kostenanteil, allerdings nimmt ihre Bedeutung stark zu. Sie ist die lukrativste, aber auch technisch anspruchsvollste Art der Bereitstellung von Regelenergie und benötigt daher besonders geeignete Energieträger wie beispielsweise Biogasanlagen oder BHKW. Auch Batterie und Power-to-Gas-Anlagen eignen sich hervorragend für die Bereitstellung der schnellen PRL, der Ausbau dieser Technologien wird die Bedeutung der Primärreserve noch deutlich verstärken.
Für erneuerbare Energieträger, welche die Anforderungen der Präqualifikation erfüllen können, stellt die Primärreserve eine ausgezeichnete Möglichkeit dar, neben der Vermarktung des Stroms zusätzliche Erlöse zu erzielen. Durch die Kombination von Power-to-Gas-Anlagen mit Wind- und Solarkraftwerken, aber auch die Flexibilisierung von Biogas- und Biomasseanlagen werden laufend neue Möglichkeiten für die Erzeugung von PRL und Strom aus erneuerbaren Energiequellen geschaffen.
Hinweis: Next Kraftwerke übernimmt keine Gewähr für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Angaben. Der vorliegende Beitrag dient lediglich der Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.