Wer einen Energy-Only-Markt (EOM) sucht, braucht meist nicht weit zu fahren: Seit der Liberalisierung der Strommärkte in den späten 1990er Jahren hat sich in vielen europäischen Ländern der Energy-Only-Markt als Strommarktdesign etabliert. Konzeptionell stehen sich der Energy-Only-Markt und der Kapazitätsmarkt gegenüber: Ein Energy-Only-Markt vergütet nur die tatsächlich erzeugte Energie, ein Kapazitätsmarkt bereits die Bereitschaft zur Stromerzeugung.
Zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit ergänzen den Energy-Only-Markt verschiedene Flexibilitätsoptionen wie beispielsweise der Regelenergiemarkt. Zusätzlich existieren meist weitere Reservemodelle im Sinne der Versorgungssicherheit, die konzeptionell Anleihen beim Kapazitätsmarkt nehmen.
Ein Energy-Only-Markt vergütet nur den tatsächlich erzeugten Strom. Der Stromhandel erfolgt am EOM entweder an der Strombörse oder im Over-the-Counter (OTC)-Handel auf Basis bilateraler Geschäftsvereinbarungen. Kaufen und verkaufen lassen sich an der Strombörse ausschließlich erzeugte Megawattstunden (MWh) an Strom, die vom Erzeuger an den Stromgroßhändler und schließlich an den Endverbraucher gehen.
Kapazität, die reine Bereitstellung von Kraftwerksleistung, vergütet der Energy-Only-Markt nur indirekt über unbedingte Lieferverträge, beispielsweise in Termingeschäften: Hier muss zu einem konkreten Termin eine konkrete Strommenge geliefert werden, daher muss natürlich auch die notwendige Kapazität zur Stromerzeugung für diesen Zeitraum bereitstehen.
Einen Kapazitätsmarkt gibt es beispielweise seit dem 1. Januar 2017 in Frankreich, gehandelt wird dort mit Zertifikaten für Kapazitätsgarantien. Diese halten verbindlich fest, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt von einem bestimmten Stromproduzenten Kapazität für die Erzeugung von Strom vorgehalten wird – dies bedeutet nicht, dass der Erzeuger den Strom zu diesem Zeitpunkt auch wirklich erzeugen wird. Er versichert lediglich, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt Strom erzeugen kann.
Die Einführung des französischen Kapazitätsmarktes erfolgte in Frankreich nicht aus ökonomischen Erwägungen, sondern aufgrund von Stromengpässen aufgrund der mangelnden Flexibilität der vorwiegend nuklearen und fossilen Energieerzeugung: Da französische Haushalte überwiegend elektrisch beheizt werden, bedeutet im Winter ein Abfall der Temperatur von 1 °C einen zusätzlichen Bedarf von 2400 MW. Schnell hereinbrechende und länger andauernde Kälteperioden führten so, 2012, 2017 und auch 2018, zu ernsten Versorgungsproblemen – die Einführung der zentralen Kapazitätsbewirtschaftung während der Wintermonate war die Folge.
Bis vor einigen Jahren trauten Experten dem Energy-Only-Markt noch nicht zu, Versorgungssicherheit herzustellen. Sie kritisierten vor allem, dass sich das Geld für den Aufbau von Reservekapazitäten nicht allein aus dem Marktgeschehen erwirtschaften lasse. Die Praxis des Energy-Only-Marktes zeigt allerdings, dass die Versorgungssicherheit auch in einem freien Marktmodell, wie es beispielsweise in Deutschland besteht, gewährleistet ist.
Zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit in einem EOM dient zum einen der Regelenergiemarkt, der teilweise wie ein äußerst kurzfristiger Kapazitätsmarkt zur Netzfrequenzstabilisierung agiert. Hier haben die Übertragungsnetzbetreiber bei Bedarf sekundenschnellen Zugriff auf zu- oder abschaltbare Kapazitäten, die schnell und zuverlässig das Netz für maximal eine Stunde stabilisieren können. Je nach Marktmodell wird hier die bereitgestellte Kapazität und/oder die tatsächlich gelieferte Leistung vergütet.
Zur längerfristigen Sicherstellung der Versorgungssicherheit sind in den meisten Energy-Only-Märkten zusätzliche Reserven vorgesehen. In Deutschland sind dies beispielsweise die Netz-, Sicherheits- und Kapazitätsreserve. Diese Reserven, die teils aus politischen und strategischen Gründen betrieben werden, nehmen konzeptionelle Anleihen beim Kapazitätsmarkt und vergüten beispielsweise in Deutschland auch Kapazitäten aus Kraftwerken, die vorübergehend stillgelegt sind oder die sich in Kaltreserve oder lediglich in Bereitschaft befinden.
Der Energy-Only-Markt überträgt das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage auf den Strommarkt. Dies macht den Markt effizienter, baut Überkapazitäten ab und fördert Flexibilität bei der Stromerzeugung – bei Bedarfsschwankungen passt sich die Stromerzeugung dem Stromverbrauch an.
Ein einfaches Beispiel erklärt das Prinzip: Kein Bäcker lässt sich allein für die Bereitschaft zum Brötchenbacken bezahlen - er erhält vielmehr pro Brötchen einen bestimmten Verkaufspreis, der abhängig von Angebot und Nachfrage schwankt. Um nicht auf alten Brötchen sitzen zu bleiben, passt er seine Brötchenmenge zudem der erwarteten Kundschaft an – und natürlich kann er, vorausschauend planend, bei Bedarf noch Brötchen nachbacken.
Auf dem Kapazitätsmarkt gibt es grundsätzlich die gleiche Bedarfsmenge an Brötchen – der Bäcker muss jedoch sehr viele zusätzliche Backöfen unterhalten, die er in seinem täglichen Bedarf nicht braucht. Dies verursache hohe Unterhaltskosten, zusätzlich werden Überkapazitäten geschaffen. Diese treten allerdings bisweilen auch in Energy-Only-Märkten auf, da sich diese Märkte nur theoretisch, nie aber praktisch in einem völlig freien Marktumfeld ohne marktverzerrende Subventionen bewegen können.
Hinzu kommt: Auch, wenn Großkraftwerke flexibler und reaktionsschneller geworden sind fällt es ihnen immer noch schwer, auf die Schwankungen des tatsächlichen Bedarfs auf dem Strommarkt mit Leistungsanpassungen zu reagieren – Atomkraftwerke sind hierzu fast gar nicht in der Lage. Ist nun die Binnennachfrage gering und/oder viel Strom aus Erneuerbaren Energien im Markt, kommt es zu Anlagenabschaltungen, verstärkten Stromexporten und negativen Preisen an der Strombörse. Dieser führt dazu, dass sich der Betrieb für viele eigentlich ökologisch vorzuziehende Kraftwerksarten wie Gaskraftwerke nicht mehr lohnt.
Kritiker des Energy-Only-Markts sehen die ausreichende Bereitstellung von gesicherter Kapazität als problematisch an: Investoren seien für den Bau von Spitzenlastanlagen, die nur wenige Stunden im Jahr laufen und sich nur anhand der in diesen Stunden anfallenden Spitzenlastpreise amortisieren müssen, schwierig zu finden. Hinzu kommt, dass bei Kraftwerksbauten vom Beginn der Planungen bis zur betriebsbereiten Anlage durchaus zehn Jahre und mehr vergehen können – in dieser Zeit verdient die Anlage kein Geld und die Marktsituation kann sich komplett ändern.
Hohe Strompreise sind zudem auch politisch brisant: Bei einer völlig freien Preisentfaltung auf dem Strommarkt wären Strombörsenpreise pro Megawattstunde theoretisch unbegrenzt, in der Praxis liegt die EPEX-Grenze auf dem Intradaymarkt bei 9.999 pro MWh für kurze Zeitperioden. Diese Spitzenpreise wären, auch wenn sie nur für einige Viertelstunden im Jahr aufgerufen würden, politisch und medial kaum vermittelbar. Nationale Behörden greifen zudem durchaus regulierend in die Preisentwicklung ein: So führte die deutsche Bundesnetzagentur eine Preisgrenze für die Regelenergie-Arbeitspreise von maximal 9.999 Euro pro MW am 5. Januar 2018 ein.
Die Argumentation hinsichtlich des Missing-Money-Problems ist nachvollziehbar – allerdings vor allem aus der Perspektive des alten Energiemarktes gedacht. Dieser setzt zur Sicherstellung von Spitzenlastkapazitäten auf kostenintensive Großkraftwerke mit langen Bauzeiten, die natürlich entsprechend große und langfristige Investitionen benötigen.
Leichter und schneller lassen sich hingegen Investitionen in eine dezentrale Infrastruktur zur Bereitstellung von gesicherter Kapazität aus vielen kleinen Anlagen herstellen: So ist beispielsweise ein BHKW oder Stromspeicher in wenigen Wochen geplant und errichtet und kann schnell gesicherte Leistung und Regelenergie bereitstellen. So könnten auch in einem zeitlich und finanziell tragbaren Rahmen die beschlossenen Stilllegungen von konventionellen Kraftwerken ohne Einbußen bei der Versorgungssicherheit ausgeglichen werden.
Auf dem Kapazitätsmarkt ist die Herstellung von Versorgungssicherheit einfach: Mehr Kraftwerke bauen – die Abnahme der erzeugten Kapazität wird schließlich durch das Marktdesign garantiert. Im Unterschied zum Energy-Only-Markt bestimmt hier nicht das Angebot, sondern vorrangig die Nachfrage das Marktgeschehen. Insbesondere für Großkraftwerksbetreiber ist dies reizvoll, denn schließlich werden auch Kraftwerke bezahlt, die lediglich in Stand-By stehen und nur im Bedarfsfall angefahren werden. So werden im Vergleich zu freien Spitzenlastpreisen ungleich höhere Summen für fossile Kraftwerke aufgewendet, deren Strom der Markt eigentlich nicht benötigt. Die mittel- und langfristigen ökologischen, wirtschaftlichen und klimatischen Folgekosten die Kraftwerke sind, wie beispielsweise bei Atomanlagen, nicht eingepreist.
Beim Wechsel auf die gesamteuropäische Perspektive kommt hinzu, dass eine rein nationale Betrachtung des Problems der Versorgungssicherheit die eigentlichen Chancen des gesamteuropäischen Strommarktes ungenutzt lässt. Denn in den europäischen Ländern sind die regenerativen Energieressourcen unterschiedlich verteilt und könnten sich gegenseitig ausgleichen: Norwegische Wasserkraft, Solarstrom aus Spanien und Italien, Gezeitenkraftwerke aus den Niederlanden und Biogas und Windstrom aus Deutschland trügen so zur Stabilität des europäischen Stromnetzes bei.
Diese setzt allerdings erhebliche Ausbauten des europäischen Verbundnetzes zum Abbau der Handelshemmnisse voraus, beispielsweise durch massive Ausbauten der Kapazitäten der Grenzkuppelstellen. Dass diese heute nicht ausreichen, wurde in der 2017 beschlossenen Entscheidung zur Trennung der gemeinsamen deutsch-österreichischen Strompreiszone zum 1. Oktober 2018 deutlich. So führt die immer engmaschigere Vernetzung der physikalischen Energieflüsse in Europa zu einem paradoxen Problem: Gerade weil immer mehr Strom Grenzen nicht über die Landesgrenzen kommt, wird der europäische Energiemarkt ohne eine ganzheitliche europäische Strommarktkonzeption immer weiter auseinandergerissen.
Auf dem Energy-Only-Markt ist die Herstellung der Versorgungssicherheit vielschichtiger – aber auch deutlich effizienter: Hier regeln Angebot und Nachfrage den Preis an der Strombörse und damit den Einsatz von Stromerzeugern und zunehmend auch Stromverbrauchern.
Treten über das übliche Maß hinausgehende Versorgungsengpässe am Markt auf, steigt der Strompreis an der Strombörse an. Nach und nach werden nun Kraftwerke, abhängig von ihren Grenzkosten nach dem Merit-Order-Prinzip, zum Ausgleich der Versorgungsengpässe zugeschaltet. Zuletzt gehen Spitzenlastkraftwerke wie Gas-, Öl- und Pumpspeicherkraftwerke ans Netz, die dann zu sehr hohen Preisen ihre nun dringend benötigten Megawattstunden verkaufen.
Wenn ein Kraftwerksbetreiber auf einem überschussgesättigten Kapazitätsmarkt davon ausgeht, dass er seine Erzeugungskapazität zu garantierten Konditionen langfristig absetzen kann, wird er nur wenig Bedarf für Innovationen sehen, da seine Erlöse auch ohne weitere Entwicklungsschritte fließen: Engpässe werden mit der Überschussproduktion überbrückt, Großkraftwerke können ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Stromverbrauch Strom produzieren; schließlich wird auch die Bereitschaft zur Produktion vergütet, nicht nur der produzierte Strom selbst. Die Folge ist ein zentralistisch gesteuertes, nahezu planwirtschaftliches System mit hohen ökonomischen wie ökologischen Kosten und wenig Bedarf an Innovationen.
Der Energy-Only-Markt mit seinen angeschlossenen Marktmechanismen ist hingegen in der Lage, Innovationen und Effizienzsteigerungen der Marktteilnehmer direkt zu belohnen: Wer seine Leistung schneller liefert, kann mehr Geld dafür verlangen – und wer seine Stromproduktion dem Preisverlauf der Strombörse flexibel anpasst, kann mehr Euro pro Megawatt an der Strombörse verdienen.
Dass sich dieses Marktkonzept auch Vertreter der fossilen Energiewirtschaft überzeugt, zeigt sich beispielsweise in den Bestrebungen der Kohlekraftwerksbetreiber, ihre Anlagen schneller dem Strompreisverlauf anpassen zu können. Mit hohem technischen und finanziellen Aufwand werden selbst in große Braunkohlekraftwerke Vorrichtungen zum schnellen Heraus- oder Herunterfahren der Turbinenleistung installiert.
Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit: Diese drei gleich gewichteten Anforderungen sind die Eckpunkte einer modernen und nachhaltigen Stromversorgung. Der Energy-Only-Markt hat sich, basierend auf diesen drei Grundsätzen, europaweit zu einem tragfähigen entwickelt – natürlich nicht ohne Komplikationen zwischen den erneuerbaren und den konventionellen Energieträgern.
Die tendenzielle Entwicklung in Deutschland und Europa zeigt, dass viele Strommärkte sich in Richtung eines Energy-Only-Marktes entwickeln – auch begünstigt durch den nach wie vor bestehenden Wunsch zu einer vertieften Integration der europäischen Strommärkte. Nach wie vor gibt es aber auch Bestrebungen zur Einführung von Kapazitätsmechanismen, die über eine bloße Bereitstellung von Regelenergie hinausgehen.
Elemente aus dem Energy-Only-Markt wie Strombörsen, die Ermöglichung von freiem Stromhandel und dem Abbau von Netz- und Marktzugangsbeschränkungen wurden aber auch in Staaten eingeführt, die einem reinen EOM eher skeptisch gegenüberstehen.
Dass ein marktwirtschaftlich orientierter und klimafreundlicher Energiemarkt keinen negativen Einfluss auf die Versorgungssicherheit hat, zeigt auch europäische Vergleich der SAIDI-Kennzahlen im Vergleich zum Anteil der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien. Dort sind Länder mit Kapazitätsmärkten wie Frankreich keinesfalls im Vorteil und auch der Anteil des Stroms aus Erneuerbaren Energien wirkt sich keinesfalls schlecht auf die Versorgungssicherheit aus.
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